27
Jean de Malestroit ließ mir die Nachricht zukommen, er werde den Abend in Gesellschaft von De Touscheronde und Bruder Blouyn verbringen, da sie den Ablauf des nächsten Prozesstages besprechen müssten. Ich nahm mein Abendessen mit anderen Damen des Klosters ein, die um meine verletzte Hand einen Wirbel machten wie ein ganzer Schwarm von Ärzten. Obwohl es nach diesem Tag viel gab, das ich mit Seiner Eminenz gern besprochen hätte, muss ich gestehen, dass die Gesellschaft von Frauen für mich eine angenehme Abwechslung von dem rein männlichen Umgang war, den ich in letzter Zeit gehabt hatte. Wir versammelten uns an dem langen Tisch im großen Saal des Klosters. In all den Jahren hier hatte ich noch nie so hastige Bekreuzigungen gesehen: schnell die Hand an die Stirn, wisch, wisch über die Brust, und dann fing das Tuscheln über die Intrigen des Tages an. Doch in ihrem Geplauder war nichts von der Verzweiflung, die ich auf dem Kirchplatz gehört hatte, und ihr Fehlen war für mich so stärkend wie das Mahl, das vor uns stand. Danach kehrte ich erfrischt in meine Kammer zurück und fand dort die zusätzliche Gnade der Einsamkeit.
Einsamkeit, Nachdenken. Eins folgte dem anderen ganz natürlich. Und worüber sollte ich nachdenken, wenn nicht über die Dinge, die ich in Champtocé erfahren hatte? Was sollte ich enthüllen, wenn überhaupt etwas – und wem? Seit vierzehn Tagen hatte ich meinem Sohn nicht mehr nach Avignon geschrieben, obwohl ich in dieser Zeit von ihm zwei Briefe erhalten hatte, beide voll herzlichen Gefühls für mich und großer Neugier auf den Fortgang unserer Intrige. Ich wollte ihm antworten mit einem Bericht über den bisherigen Verlauf des Prozesses, aber wie konnte ich diesen zu Pergament bringen, ohne ihm zu erzählen, dass ich jetzt das Schicksal seines Bruders kannte und dass ein schrecklicher Verdacht sich in meiner Seele eingenistet hatte?
Geliebter Sohn, wir hatten einen Besuch vom Teufel selbst in Gestalt einer Krähe. Und dein Bruder wurde ausgeweidet, aber nicht von einem Keiler …
Mir gelang kein befriedigender Anfang. Nach einer Weile ergab ich mich meiner Schreibunfähigkeit und wandte mich der Stickerei zu, was mich allerdings mehrere Kerzen kostete. Doch mit jedem Faden, der durch den Stoff gestoßen und festgezurrt wurde, kam ich einem Entschluss näher. Als ich zwischen die Laken schlüpfte, hatte ich Entschiedenheit, wenn auch nicht Frieden, im Herzen.
Am nächsten Morgen begann alles von neuem. De Touscheronde eröffnete die Sitzung mit einer weiteren Zeugin, deren Kind verschleppt worden war.
Frère Demien flüsterte mir zu: »Diese Geschichten bringen inzwischen eher Gähnen als Tränen hervor. Wie viele müssen wir denn noch hören?«
Ich zuckte die Achseln; die weinende Frau kehrte an ihren Platz zurück. De Touscheronde schritt zur Richterbank, wo er sich mit Jean de Malestroit und Bruder Blouyn in ernstem Flüsterton über ein rechtliches Problem beriet. Nach einem zustimmenden Nicken wandte De Touscheronde sich wieder der Versammlung zu. Er rief den Namen Perrine Rondeau auf. Eine Frau, die ich bereits in der Menge des gestrigen Tages gesehen hatte, stand von ihrem Platz in einer der vorderen Reihen auf und berichtete.
Mein Gatte ist seit vielen Jahren immer wieder krank, und zu einer Zeit, als es ihm besonders schlecht ging, nahm ich Untermieter in unserem Haus auf, um ein besseres Auskommen zu haben. Mein Mann schämte sich deswegen sehr, aber ich wollte natürlich nichts davon hören, dass er arbeitete. Der Marquis de Ceva und Monsieur François Prelati waren im oberen Stock untergebracht; ich selbst schlief auch da oben, allerdings für gewöhnlich in einem bescheideneren Zimmer. Eines Abends war ich so aufgeregt, weil ich dachte, ich würde meinen Mann verlieren, dass meine Bedienerin mich in dem Zimmer unterbrachte, das Prelati und der Marquis gemietet hatten – sie dachte, dass die guten Betten mir eine Wohltat wären. Die Herren waren nach Machecoul gegangen, und wir alle dachten, sie würden dort übernachten. Aber der Marquis und Monsieur Prelati kehrten später an diesem Abend doch noch zurück, beide ziemlich sinnlos betrunken. Als sie mich in dem besseren Zimmer vorfanden, auf das sie meinten einen Anspruch zu haben, ob nun berechtigt oder nicht, erregten sie sich sehr.
Ich war in einem elenden Zustand, das muss ich zugeben; dennoch hatten sie kein Recht, mich so zu behandeln, wie sie es taten. Zuerst beschimpften sie mich aufs Übelste, und dann packten sie mich, einer bei den Händen, der andere bei den Füßen, und versuchten mich ins Erdgeschoss hinabzuwerfen. Wäre meine Bedienerin mir nicht zu Hilfe geeilt, hätten sie mich wohl über das Geländer geschwungen, und ich wäre vielleicht zu Tode gestürzt! Wer hätte sich dann um meinen Gatten gekümmert? Der Marquis oder Monsieur Prelati sicherlich nicht.
Während ich so im Obergeschoss auf dem Boden lag, traten sie mir viele Male mit ihren spitzen Stiefeln in den Rücken, und ich bin seitdem nicht mehr die Alte.
Später in dieser Nacht hörte ich mit, wie der Marquis de Ceva zu Prelati sagte, er habe in Dieppe einen hübschen jungen Pagen für ihn gefunden. Monsieur schien äußerst erfreut, und einige Tage später erschien ein sehr schöner junger Knabe, der von sich behauptete, einer sehr guten Familie aus der Region um Dieppe zu entstammen. Er wohnte ungefähr zwei Wochen bei Monsieur François, und in dieser Zeit sah ich ihn bei vielen Gelegenheiten, immer in Prelatis Gesellschaft. Doch plötzlich schien er verschwunden zu sein – sein Herr kam und ging ohne ihn. Deshalb erkundigte ich mich nach ihm. Monsieur Prelati wurde sehr erregt und behauptete, dass der Junge trotz seiner angeblich so guten Herkunft ihn mächtig betrogen und sich mit zwei Goldkronen aus dem Staub gemacht habe. Ich bin nur froh, dass ich den jungen Halunken wieder los bin, sagte Prelati.
Seine Behauptungen verwirrten mich, denn der Knabe hatte einen guten Eindruck gemacht und war mir ehrlich und aufrichtig erschienen. Und ich täusche mich selten in Menschen.
Bald darauf verließen Monsieur Prelati und ein neuer junger Herr namens Eustache Blanchet mein Haus und gingen nach Machecoul, um dort Wohnung zu nehmen. Ich hörte das Gerücht, sie hätten einen Mann namens Cahu aus seinem Haus vertrieben und ihm höchst unehrenhaft und mit großer Gewalt seinen Schlüssel abgenommen. Ich kannte dieses Haus, war ich doch mit meinem Gatten schon viele Male in Machecoul gewesen. Das Haus war weit von anderen Häusern entfernt, an einer Straße außerhalb der Stadt, und es hatte seinen eigenen Brunnen, doch trotz dieses Vorzugs war es heruntergekommen und bedurfte dringend der Instandsetzung; als angemessene Unterkunft für Männer von Stand würde es sicherlich niemand betrachten.
Der Marquis de Ceva wohnte weiter bei mir; ich glaube, er fand meine Räumlichkeiten einem Herren angemessener. Er verlangte viel von mir, auch in Zeiten, da ich sichtlich unter der schlechten Gesundheit meines Gatten litt, aber er ließ sich immer Zeit mit der Bezahlung, wenn gewisse Summen fällig waren, und wenn er wirklich zahlte, dann gab er die Münzen erst nach langen, quälenden Verhandlungen über die tatsächliche Höhe der Schuld heraus oder mit unhöflichen Bemerkungen darüber, dass man ihn wohl betrogen habe. François Prelati und Eustache Blanchet kamen häufig aus ihrer erbärmlichen kleinen Unterkunft in Machecoul zum Marquis zu Besuch und übernachteten oft bei ihm in meinen oberen Räumlichkeiten, doch die Ruine, in der sie selber wohnten, gaben sie nicht auf. Stattdessen ließen sie ihre Pagen dort zurück, damit sie es in Besitz hielten. Mit gutem Grund, wie ich später erkannte.
Es geschah, dass ich ein paar Tage in Machecoul sein musste, während mein Gatte einen Heiler aufsuchte, und zwar kurz vor der Zeit von Gilles de Rais’ Verhaftung – Gerüchte über seine bevorstehenden Schwierigkeiten machten bereits in großer Zahl die Runde, deshalb war ich neugierig darauf, was in Cahus Haus vor sich ging. Einige Mal versteckte ich mich hinter nahen Büschen und beobachtete das Kommen und Gehen dieser Herren und ihrer Diener, die alle sehr beunruhigt wirkten.
Eines Tages sah ich so, dass sie einen großen Schubkarren voller Asche aus Cahus Haus fortschafften. Er quoll über von grauem Pulver, und der junge Mann – ein fast mädchenhafter, schmächtiger Kerl – hatte Schwierigkeiten, ihn im Gleichgewicht zu halten. Einiges davon rieselte auf die Erde. Wohin sie den Rest brachten, kann ich nicht sagen, aber sobald sich mir die Gelegenheit bot, ging ich zu dem verschütteten Pulver. Es fühlte sich sehr fettig an, als ich es zwischen den Fingern zerrieb, und der Geruch – mon dieu, ich kannte kein gekochtes Tier, das so roch. Ich suchte einige sandige Splitter heraus und blies die Asche weg. Sie waren weiß und fühlten sich an wie Knochen, als ich sie mit meinen Zähnen prüfte.
Und dann begriff ich, was ich in der Hand hatte und dann in meinem Mund, und mir wurde übel bis tief in die Magengrube. Gott steh mir bei, dachte ich bei mir, das sind menschliche Knochen – vielleicht sogar die des schönen jungen Pagen. Und ich spuckte und spuckte, bis auch der letzte Rest dieses Geschmacks aus meinem Mund verschwunden war.
Zur Veranschaulichung begann sie nun hier in der Kapelle zu spucken, doch plötzlich zitterte und taumelte sie wie von der Fallsucht gepackt. Sie zuckte erbärmlich, und nur das Weiße ihrer Augen war noch zu sehen.
Wieder erhob sich Jean de Malestroit, doch bevor er sich ganz aufgerichtet hatte, kam sie bereits wieder zu sich.
»Ach, meine Herren, verzeiht mir – ich leide an diesen Anfällen, und wenn ich beunruhigt bin, scheinen sie mich häufiger zu überkommen.«
Argwohn und Besorgnis mischten sich auf Jean de Malestroits Gesicht. »Könnt Ihr fortfahren, Madame?«
»Ja, das kann ich, Milord.«
Nicht lange danach bemerkte ich, dass die Diener zurückkehrten, und huschte deshalb in mein Versteck hinter dem dichten Busch zurück. Es ängstigte mich zwar, dass ich so nahe am Haus war, aber es gab keine anderen Verstecke. Ich war vielleicht nur gut zwei Schritte von Monsieur Prelati entfernt, als er mit verschiedenen Gegenständen in den Armen aus dem Haus kam. Sämtliche konnte ich gut erkennen. Darunter war ein so kleines Hemd, dass es nur von einem Kinde stammen konnte. Es war mit feuchtem Blut und anderem Unrat befleckt. Er hielt es so weit von sich gestreckt, wie er nur konnte, kein Wunder, denn sogar ich im Busch konnte es riechen – ein entsetzlicher und fauliger Gestank, und ich dachte schon, dass ich mich noch einmal übergeben müsste. Aber ich unterdrückte die Galle, die mir aus der Kehle springen wollte, und schaute mir das Hemd genau an, als Prelati an meinem Versteck vorbeikam. Ich war froh, dass das Hemd nicht sprechen konnte – ich hätte gar nicht wissen wollen, wie ein so sauberer, von Blut umrahmter Schnitt in seine Vorderseite gekommen war.
Ich hörte nichts mehr von dem, was die weiteren Zeugen an diesem Tag aussagten.
Als ich Jean de Malestroit an diesem Abend aufsuchte, saß er allein in seinem Arbeitszimmer und starrte in das Licht einer einzelnen Kerze – kein herausragender Diplomat mehr, sondern ein schlichter Mann Gottes im Halbdunkel, der schwer über ein tiefes Glaubensproblem nachzugrübeln schien. Er hatte den Kopf auf beide Hände gestützt; anstelle seines gewohnten regelmäßigen Atems hörte ich tiefe, schwere Seufzer.
Ich räusperte mich leise, um seine Aufmerksamkeit zu erregen. Es dauerte einige Herzschläge, bis seine Stirn sich straffte und sein Blick den meinen kreuzte.
»Guillemette«, seufzte er. Zuneigung lag in seiner Stimme und auch ein wenig Erleichterung.
»Störe ich Euch, Eminenz?«
»Ich bin bereits tief verstört.«
»Vielleicht wollt Ihr allein sein …«
»Nein, bitte – um die Wahrheit zu sagen, ich wollte eben nach Euch schicken. Ich bin meiner eigenen Gedanken überdrüssig und sehne mich nach dem Klang einer anderen Stimme. Die Ablenkung Eurer Gesellschaft wäre mir im Augenblick höchst angenehm. Ich kann die Leute, mit denen ich diese Tage verbringen muss, auf den Tod nicht mehr ertragen, mich selbst eingeschlossen.«
Er verbrachte seine Stunden mit jammernden Zeugen, die alle ein und dieselbe Geschichte wiederholten, und berechnenden Anwälten, von denen jeder hoffte, Herzog Jean mehr zu erfreuen als der andere. Kleinkrämerische Schreiber, die an jedem Wort hingen, das in der Kapelle gesprochen wurde, waren sein ständiger Umgang. Anwälte und Ankläger und Würdenträger umringten ihn, und alle suchten sie aus dem Ausgang dieses Prozesses eigenen Nutzen zu ziehen. Er hatte die beängstigende Aufgabe, dies alles in Gottes Namen zum Abschluss zu bringen. Sein Überdruss war mehr als verständlich.
Aber wir beide wussten, dass es noch viel schlimmer sein könnte.
»Stellt Euch nur vor, um wie viel qualvoller diese beiden Tage gewesen wären, hätte Milord uns mit seiner Anwesenheit beehrt«, sagte ich.
Ein schwacher Trost. »Das kann man sich gar nicht vorstellen«, erwiderte er leise. »Und irgendwann wird er wieder erscheinen müssen. Ich weiß nicht, wie ich dann die Ordnung aufrechterhalten soll.«
Am nächsten Tage sollten weitere Zeugen gehört werden, und man konnte getrost darauf wetten, dass Milord sich auch dann nicht zeigen würde. In gewisser Weise machte dies diese ganze unerquickliche Geschichte leichter erträglich, denn Gilles de Rais, Unzucht Treibender, Mörder und Dämonenbeschwörer, war noch immer Gilles de Rais, Marschall von Frankreich, Held, Baron und Ritter. Seine bleiche Abwesenheit machte es leichter, ihn als abscheuliches Ungeheuer zu betrachten, als es in seiner prächtigen Gegenwart gewesen wäre.
»Aus diesen Zeugenaussagen werden noch mehr Anklagepunkte erwachsen«, sagte Jean de Malestroit. »Wenn er sich weigert zu erscheinen, dann werden wir ihn wohl mit Gewalt vor das Gericht zerren müssen. Aber ich vermute, er wird sich zeigen, bevor Zwang nötig wird.« Er legte seine Hand sanft auf meine. »Seid Ihr darauf vorbereitet?«
Gilles de Rais würde nicht einfach nur bescheiden vor Gericht erscheinen, um still dazusitzen, während ihm ernsteste Anschuldigungen entgegengeschleudert würden – er würde seinem kriegerischen Wesen treu bleiben und einen majestätischen Kampf an den Tag legen.
Ich sagte: »Ich glaube, die angemessenere Sorge dürfte die um Milords Vorbereitungen sein. Was mich angeht, so bin ich so bereit, wie ich es je sein werde.«
Das entsprach nicht ganz der Wahrheit – es waren in der Tat noch einige Vorbereitungen meinerseits nötig, doch die hatten nichts mit Milords Erscheinen vor Gericht zu tun. Und in dieser Angelegenheit trat ich nun behutsam an Jean de Malestroit heran. »Perrine Rondeaus Enthüllungen waren fesselnd, nicht wahr?«
Er war abgelenkt. »Insofern, als sie sich unterschieden von dem, was die anderen Zeugen zu sagen hatten, ja. Das ist richtig.«
»Sie war wagemutig, diese Vorgänge zu beobachten.«
»Äußerst wagemutig.«
»Ich kann mir nicht vorstellen, dass ich mich selbst in eine solche Lage bringen würde, gleichgültig, was damit zu gewinnen wäre. Aber mir stellt sich die Frage«, sagte ich vorsichtig, »ob irgendjemand weiß, was aus den Dingen wurde, die Prelati und andere aus Cahus Haus trugen, außer der Asche, die Perrine Rondeau beschrieb.«
Er sah mich verwundert an. »Warum ist das für Euch von Bedeutung?«
»Ich würde sie gerne untersuchen.«
»Gott im Himmel, warum denn?«
»Weil ich glaube, dass man daraus Erkenntnisse ziehen könnte.«
»Welche neuen Erkenntnisse soll man aus diesen Dingen denn noch ziehen können? Sie sind das Werk des Teufels und deshalb mit Geringschätzung zu behandeln.«
»Das Werk des Teufels enthüllt den Teufel«, entgegnete ich.
Sein Stirnrunzeln wurde von offener Missbilligung begleitet.
»Das ist doch abscheuliches Zeug – blutig und übel riechend, und es dürfte sich kaum schicken, dass eine Frau sie untersucht, vor allem eine Frau Eures Standes nicht. Was soll denn diese plötzliche morbide Faszination?«
Es war eine wohlgesetzte Zurückweisung, in höflicher Berücksichtigung meiner angeblichen Empfindsamkeit, die er meinem »Stand« zuschrieb, doch diesen Stand konnte ich inzwischen selbst kaum mehr beschreiben. »Ich dachte einfach – das heißt, ich habe mich gefragt, ob man durch die Untersuchung der mit diesen Verbrechen in Verbindung stehenden Gegenstände nicht etwas erfahren könnte, das ist alles.«
»Und welchen Zwecken soll dieses Wissen dienen?«
Zwecken, über die ich im Augenblick noch nicht sprechen kann.
»Als Beweis selbstverständlich«, sagte ich. »Beweise für die Verbrechen, die Milord vorgeworfen werden.«
»Beweise sind nicht nötig.«
Diese Erwiderung hatte ich nicht erwartet. »Aber … wie kann er denn ohne Beweise verurteilt werden?«
»Er wird gestehen.«
Mein erster Gedanke war: nie. »Gilles de Rais wird nicht gestehen«, sagte ich. »Sein Stolz wird ihm das nicht erlauben.«
»Er wird, das versichere ich Euch. Er wird sich vor Gott für seine Verbrechen verantworten, und er wird es aus freiem Willen tun. Auch wenn wir ihn zuvor foltern müssen. Und wenn es erforderlich ist, wird dies auch geschehen.«
»Dennoch«, sagte ich, beinahe flehend. »Ich möchte die Beweise gern mit eigenen Augen sehen. Ich … ich muss sie sehen, um des Friedens meines Herzens willen.« Ich legte die Hände vors Gesicht und begann still zu weinen, doch schon am nächsten Morgen würde ich diese großartige Vorführung bedauern und eifrig büßen, denn mein Bischof ist ein guter Mensch, der diese üble Art von Täuschung nicht verdient hat. Schwester Claires prophetische Worte über die Berechenbarkeit von Männern, auch der mächtigen, klang mir in den Ohren. Nur die Härtesten der Harten, wie etwa der ungeheuerliche Jean de Craon, konnten sich dem Einfluss der von Herzen kommenden Tränen einer Frau entziehen. Und um die Wahrheit zu sagen: Meine Tränen waren gar nicht so furchtbar falsch.
Jean de Malestroit wand sich bereits, als er sagte: »Ach, nun gut denn, wenn es Euch so viel bedeutet, werde ich mich erkundigen, wohin diese Dinge gelangt sind. Aber erhofft Euch nicht zu viel.«
Ich wusste, dass mein Bischof wahrscheinlich Recht hatte – es gab kaum Hoffnung, dass das Hemd, so grausig es auch sein mochte, von irgendjemandem aufbewahrt worden war, und vor allem von diesen Schurken nicht, deren Schuld es bestätigen würde! Wohin sollte man es denn auch legen, ohne dass es die ganze Umgebung besudelte?
François Prelati würde wissen, was daraus geworden war, aber er war ein Schweinehund, der versuchen würde, dieses Wissen gegen irgendeinen Vorteil vor Gericht einzutauschen. Ich hatte nichts, womit ich ihn verführen konnte. Meine einzige Möglichkeit war ein Besuch bei Perrine Rondeau. Ich wusste, dass sie mit vielen anderen wegen dieses Prozesses nach Nantes gereist war, und sie alle wohnten vorübergehend am Rande der Stadt. Am Flussufer waren große Zeltlager dieser Pilger entstanden. Ich musste nur von einem Lagerfeuer zum nächsten gehen und nach ihr fragen – sie hatte sich mit dem Gewicht ihres Charakters einen Namen unter den Leuten gemacht.
Als ich sie am nächsten Morgen vor Prozessbeginn fand, zeugte Perrine Rondeaus fröhliche Stimmung von einer völligen Erholung von der Belastung durch ihre Zeugenaussage am Tag zuvor. Allerdings hatte sie gesagt, was sie zu sagen hatte, und damit war die Sache für sie erledigt. Im Gegensatz zu vielen anderen, bei denen der Schmerz der Aussage länger verweilen würde, hatte sie kein Kind verloren.
Eine stattliche steinerne Feuerstelle war schon vor vielen Jahren an einer Stelle am Flussufer errichtet worden, wo die Fischer sich oft den Fisch brieten, den sie aus den schlammigen Gewässern zogen. Eine kräftige Stange aus sehr grünem Holz lag über den Steinen, und daran hatte Madame Rondeau einen Kessel am Henkel aufgehängt. Dort stand sie und rührte summend Haferbrei über dem Feuer, und ihre rundlichen Hüften wiegten sich mit dem Kreisen ihres Arms. Zu ihren Füßen lag auf einem Tuch ein großer, flacher und sauber gewaschener Flussstein, auf den sie die Grütze nach dem Kochen gießen würde. Wenn sie ausgekühlt war, würde sie in klebrige Stücke zerbrochen, die man aus der Hand aß. Die Speise war fade und geschmacklos, würde aber die Mägen vieler hungriger Menschen füllen, die in der Nähe warteten und von denen niemand die Schüsseln und Utensilien besaß, um anständig zu essen. Wie sehr hatte ich mich doch an diese Segnungen gewöhnt – eine Schüssel, ein Brett, einen Löffel, reichlich Nahrung, die man warm und mit Würde essen konnte. Für mich inzwischen reine Gewohnheit, für einen Armen aber große Schätze. Gottes willkürliche Verteilung von Glück und Wohlstand war immer so verwirrend.
Aber Er hatte Perrine Rondeau mit einer wunderbaren Herzlichkeit gesegnet, die sie jetzt zum Wohle derer einsetzte, denen dergleichen Mittel fehlten. Der Dampf, der aus dem Kessel aufstieg, kräuselte ihre mit einem Tuch zurückgebundenen Haare an den Schläfen. Über ihrem Gewand trug sie eine große Schürze, deren Ärmel ein Stück aufgekrempelt waren.
Sie musterte meine Ordenstracht und nickte dann ehrerbietig.
»Guten Morgen, Mutter«, sagte sie.
»Guten Morgen. Seid Ihr Madame Rondeau?«
»Die bin ich.«
»Gott segne Euch, Madame. Ich habe Euch nach Eurer Aussage gestern in mein Nachtgebet eingeschlossen. Ich hoffe, Ihr seid von der plötzlichen Krankheit, die Euch überfiel, genesen.«
»O ja. Und vielen Dank für Eure Gebete. Sie kommen und gehen, diese Schüttellähmungen. Nach einer Weile komme ich immer wieder zu mir.«
»Ihr seid eine tapfere Frau, und auch sehr hartnäckig in Euren Nachforschungen.«
»Ach«, sagte sie, »andere würden sagen, ich bin einfach zu neugierig.«
»Ich will über Euer Verhalten nicht urteilen, Madame, aber Eure Neugier war, wie sich zeigte, sehr hilfreich.«
»Das ist nicht immer der Fall.« Sie grinste schelmisch. »Aber wenn dem Ankläger half, was ich sagte, bin ich froh darüber. Und mir hat es nicht geschadet, dass ich gesprochen habe«, sagte sie. »Ich bedaure diejenigen, die Kinder verloren haben. Vor allem die Frau, die am Tag davor sprach, als die Sitzung unterbrochen wurde.«
Sie zog den Holzlöffel aus dem Kessel, klopfte die anhängenden Breiklumpen am Rand ab und legte den Löffel dann auf den Kessel. Als sie die Hände frei hatte, faltete sie sie und murmelte ein Gebet. Sie bekreuzigte sich und nahm das Rühren wieder auf, als hätte sie es nie unterbrochen.
»Und was mit ihr in der Kapelle passiert ist … und mit Euch selbst …«
Ich versteckte meine verbundene Hand im Ärmel. »Es wird schon nichts bleiben. Und Madame le Barbier ist eine unverwüstliche Frau. Ich bin sicher, sie wird gänzlich von dem genesen, was die Krähe …«
Sie schnitt mir das Wort ab. »Mutter, verzeiht mir meine Ungehörigkeit, denn ich will nicht respektlos sein«, sagte Perrine Rondeau, »aber das war keine Krähe. Das war der Dämon selbst, in Krähengestalt ausgeschickt von Gilles de Rais, um sie für ihre harten Worte gegen ihn zu bestrafen.«
Was für eine Macht doch Hexerei auf alle Kinder Gottes hatte.
»Wenn das so ist, dann sind wir alle dem Untergang geweiht, denn in letzter Zeit wurden nur wenige freundliche Worte gesprochen.«
Wieder klopfte sie ab, betete und bekreuzigte sich. »Gott wird uns behüten«, sagte sie und hob den Löffel zur Betonung des Gesagten. Ein Breiklumpen löste sich und fiel in den Kessel. »Nun, das ist zwar kein königliches Mahl, aber es wird viele Bäuche füllen. Wollt Ihr mit uns essen, Mutter? Es ist genügend da.«
»Ihr seid zu freundlich, Madame; ich habe mein Fasten bereits gebrochen. Aber wenn Ihr die Zeit erübrigen könnt, würde ich Euch gerne nach etwas fragen, nach etwas, das Ihr gestern erwähntet – das Hemd. Ihr sagtet, Ihr hättet gesehen, dass Prelati es etwa zu der Zeit von Milords Verhaftung aus Cahus Haus schaffte.«
Sie schaute in den Kessel und runzelte die Stirn. »Der Anblick war unbeschreiblich, der Gestank unerträglich. Die ganze Vorderseite war mit Blut und Schmutz getränkt. Der Gestank drang ja sogar durch die Blätter und Äste bis zu mir – nur meine Angst vor Entdeckung bewahrte mich vor dem Erbrechen.«
Sie deutete mit einer Drehung ihres Kopfes zu einem Mann, der in der Nähe auf der Erde schlief. »Die Entfernung war nicht mehr als zwischen ihm und mir. Wahrscheinlich weniger.«
Zwei bis drei Schritte im Höchstfall. »Ihr konntet das Hemd also sehr gut sehen.«
»Ja. Monsieur Prelati hielt es auf Armeslänge von sich, und zwar mit beiden Händen, um es möglichst weit weg von seinem Körper zu halten. Es war fast unter meiner Nase.«
»Ihr spracht von einem Riss in der Mitte …«
»Das war kein Riss, sondern ein glatter Schnitt – wahrscheinlich von einem Messer aufgeschlitzt«, sagte sie und beantwortete damit eine Frage, die ich noch gar nicht ausgesprochen hatte.
Die morbide Faszination, von der Jean de Malestroit gesprochen hatte, überkam mich nun, und ich fühlte mich plötzlich sehr unheilig. »Falls Ihr Euch erinnert, Madame, wo auf dem Hemd war dieser Schnitt?«
»Vom Saum fast bis zum Hals. Auf beiden Seiten des Schlitzes war der Stoff von dunklem Blut getränkt, und zwar so sehr, dass die Stoffränder nicht ausfaserten. Aber mir fiel auch auf, dass der untere Teil des Schnitts gezackt war.«
Ich sah deutlich vor mir, was sie beschrieb, und stellte mir vor, wie das Messer in das weiche Fleisch eines Kinderbauches eindrang. Augenblicklich befiel mich eine kaum zu ertragende Schwäche. Ich legte Madame Rondeau eine Hand auf die Schulter, um das Gleichgewicht nicht zu verlieren, und sie sah mich besorgt an. »Es ist nur eine leichte Benommenheit«, beruhigte ich sie. »Das geht vorüber.«
Bevor das geschah, waren einige andere grausige Bilder vor meinem inneren Auge vorbeigezogen. Mit einem tiefen Atemzug schöpfte ich neue Kraft. »Das scheint nur den einen Schluss zuzulassen, dass das Messer das Hemd und das Kind gleichzeitig aufschlitzte.«
»Oui, Mère. Das Kind, das dieses Hemd trug, wurde geschlachtet wie ein Lamm.«
Ein gezackter, aber nicht ausgefaserter Schnitt unten am Saum.
»Madame«, fragte ich »in welcher Richtung schien der Blutfleck sich auszubreiten?«
Einige Augenblicke lang starrte sie in den Brei und rührte ihn rhythmisch, während ihr Blick ziellos hin und her wanderte. Wieder legte sie den Löffel auf den Kesselrand, bevor sie antwortete.
»Oben am Halsausschnitt war eine große Menge Blut. Es musste sich also nach oben ausgebreitet haben.« Sie warf mir einen besorgten Blick zu. »Aber wie kann das sein?«
Das Kind war an den Füßen aufgehängt worden.
Ich spürte, wie mir mein zuvor gegessener Haferbrei in die Kehle hochstieg. Als die Übelkeit sich wieder gelegt hatte, fragte ich sie: »Was meinen Sie, in welchem Alter mochte das Kind gewesen sein, das dieses Hemd getragen hatte?«
»Oh, sehr jung. Ein so kleines Kind kann nicht viel älter als sieben oder acht Jahre gewesen sein.«
Michel mit sieben Jahren tauchte vor meinem inneren Auge auf. Er stieg auf den Schoß meiner Erinnerung und schlang die kleinen Arme um meinen Hals.
»Bestien«, flüsterte ich. »Unheilige Bestien.«
»Ja, Mutter«, sagte Perrine.
Ich dankte ihr so höflich, wie ich konnte, für ihre Ausführungen, drehte mich dann um und ging durch das Lager. Der ungezackte Saum meines Gewands schleifte durch den Staub. Jetzt waren noch mehr Menschen hier als zuvor bei meiner Ankunft. Und jeder Einzelne schien mich anzustarren.
Als ich in den Palast zurückkehrte, hatte Jean de Malestroit seine Gemächer bereits verlassen, um in die Kapelle zu gehen, ich würde also erst später erklären müssen, wo ich gewesen war. Bis auf Frère Demien, der aus den Gemächern kam, als ich eben wieder gehen wollte.
»Wo wart Ihr denn?«, wollte er wissen. »Ich habe mir Sorgen gemacht! Seine Eminenz hat sich auch schon nach Euch erkundigt. Und wir kommen zu spät zum Prozess.«
Und verpassen so eine weitere Leidensgeschichte. Ich bemühte mich, ein wenig enttäuscht zu sein, konnte es aber nicht. »Ich besuchte das Zeltlager, um Perrine Rondeau zu suchen«, sagte ich.
Als wäre ich besudelt, bekreuzigte sich der junge Priester und flüsterte einen schnellen Segen. »Aber warum?«
»Ich wollte sie etwas fragen, Bruder. Ich wollte mehr über das Hemd erfahren, das sie gesehen hatte.«
Ihm musste ich nicht erklären, warum mich das interessierte; Frère Demien hatte Guillaume Karies Geschichte ja gehört. Stattdessen setzte er zu einer ärgerlichen Schmährede gegen die arme Frau an. »Sie hat die Schüttellähmung, Schwester, und der Einfluss des Satans könnte noch immer in ihr sein – immerhin zuckte sie wie ein Zigeuner bei ihrer gestrigen Aussage.«
»Ich glaube, es ist ihr gelungen, sich von allem Bösen zu reinigen, das sie gestern befallen hatte. Als ich sie fand, tat sie etwas, was unser Retter Jesus Christus einst tat – sie gab den Armen zu essen.«
»Der Satan kann einen mit falscher Güte in die Irre führen. Er zeigt einem das Licht und führt einen in die Dunkelheit. Er berauscht einen mit falschen Versprechungen und verführt einen zu dem Glauben …«
»Genug«, sagte ich und kreuzte die Arme vor der Brust. »Man könnte meinen, Ihr übt für die Mitra, Bruder.«
»Man muss kein Bischof sein, um von den Schandtaten des Satans zu sprechen.«
»Aber es ist sicherlich nicht von Nachteil. Fürchtet nicht um meine Seele«, sagte ich. »Ich bin unversehrt zurückgekehrt.«
»Nun, ich hoffe, Ihr habt wenigstens befriedigende Antworten erhalten.«
»So sehr, wie das im Augenblick möglich ist, fürchte ich.« Denn wie es oft geschieht, führten die Antworten, die sie mir gegeben hatte, nur zu weiteren Fragen. Ich würde mich woanders hinwenden müssen, um auch auf diese befriedigende Antworten zu finden.
Nachrichten über das, was vor Gericht gesagt wurde, verbreiteten sich in den Zeltlagern und den umliegenden Dörfern, als gäbe es ein unsichtbares Band, auf dem sie befördert wurden. Niemand sprach von etwas anderem, aber so ist das immer – wir riechen Gottes Rosen nicht, wenn Mist unsere Nasen verführt. Am vergangenen Nachmittag hatte ich das Rauschen von Flügeln gehört, und als ich aufschaute, sah ich einen kleinen Schwarm Tauben, der einen der Türme umkreiste. Einige Augenblicke flatterten sie verwirrt herum, bevor sie davonflogen, jede in eine andere Richtung, aber kaum waren diese Vögel verschwunden, wurde ein anderer Schwarm freigelassen. Bald würden in ganz Frankreich und der Bretagne Könige, Edelleute und Kirchenmänner diese kleinen papiers lesen, auf denen die wichtigen Nachrichten standen. Tags darauf würden die Vögel sicherlich schon in Avignon sein, und mein Sohn, dessen liebende Worte ich schändlicherweise noch immer nicht erwidert hatte, würde über den Stand der Dinge auf dem Laufenden sein.
»Herzog Jean wird dringend auf Nachricht warten«, sagte Frère Demien, während die Vögel kleiner und kleiner wurden und schließlich ganz verschwanden.
»Er wartet begierig auf Milords Sturz«, erwiderte ich, »doch es scheint, dass der auch unabhängig von seinem Verlangen nicht mehr lange auf sich warten lassen wird. Ich frage mich, wann der Herzog sich hier zeigt. Er hätte wohl gern mit dieser ganzen Sache nichts zu tun und möchte trotzdem ihren Gewinn einheimsen. Mir erscheint das sehr unchristlich von ihm. Andererseits hat er ja viele Männer, die bereit sind, an seiner Stelle christlich zu sein.«
Die Nachrichten wurden jeden Tag auf dem großen Platz von Nantes vor dem Bischofspalast vom selben Ausrufer verkündet. Stets strömte eine große Menge zusammen, um seine düsteren Worte zu hören, und Münzen flogen förmlich in seinen umgedrehten Hut, denn er war ein vorzüglicher Geschichtenerzähler. Die Zuhörer ächzten und stöhnten und schüttelten missbilligend die Fäuste, wenn Entsetzen sich in Wut verwandelte. Und je größer die Menge der Berichte über verschwundene Kinder wurde, desto größer wurde auch die Wut der Bevölkerung auf ihren Herren.
Er berichtete von weiteren Scheußlichkeiten und erzählte neue Geschichten der Einschüchterung durch Gilles de Rais’ Männer: »Vor etwa sechs Monaten berichtete eine Putzmagd, die im Palast arbeitete, sie hätte einen kleinen, blutigen Fußabdruck gesehen. Sie benachrichtigte die Haushälterin, doch als die beiden zurückkehrten, war er bereits beseitigt worden. Die Magd verlor ihre Stellung, weil sie so vorlaut …«
Und Geschichten von tollkühnem Mut: »Es war eine dunkle, mondlose Nacht, als ich auf der Burgmauer von Machecoul auf der Lauer lag. Es erschien mir nur angemessen, dass die Verbrechen dieser Missetäter ans Tageslicht kommen sollten. Falls in dieser Nacht wieder ein Junge verschleppt werden sollte, würde ich nicht zögern, die Männer der umliegenden Dörfer zu benachrichtigen, damit Gilles de Rais den zuständigen Behörden zugeführt werde.
Leider übermannte mich der Schlaf, und es dauerte wohl nicht lange, bis ein Mann von schmächtiger Gestalt mich, mit einem Dolch unter meinem Kinn, weckte. Ich schrie auf, aber er lachte und sagte: ›Schrei, so viel du magst! Keiner wird dich retten. Du bist ein toter Mann.‹
Ich war mir sicher, dass er mich töten wollte, und flehte um mein Leben. Dank Gottes Gnade hatte dieser Kerl wohl Mitleid mit mir und ließ von mir ab, damit ich über die Begegnung nachdenken konnte, doch nun hatte ich nicht mehr den Mut zu bleiben – ich kletterte eilends die Steine der Außenmauer hinab und schlug mich durch bis zur Straße, und obwohl es stockdunkel war, rannte und rannte ich, bis ich weit genug von diesem bösen Ort entfernt war, um anhalten und Atem schöpfen zu können. Als ich am nächsten Tag zu meinem Haus zurückkehrte, begegnete mir Gilles de Rais selbst, der in die Richtung von Boin ritt. Auf seinem Pferd erschien er mir wie ein Riese, vor allem angesichts dessen, was ich in der Nacht zuvor gegen ihn unternommen hatte! Er starrte mit großer Böswilligkeit auf mich herab und legte die Hand auf das Heft seines Schwerts. Ich schloss die Augen und wartete auf das Schaben von Metall, doch er lachte nur höhnisch auf. Er ritt davon, aber seine Begleiter blieben zurück und umringten mich. Keiner sprach ein Wort, aber ihre Mienen sagten: Wir wissen, was du im Schilde führst, und du solltest es besser sein lassen!«
Das war die letzte der Schauergeschichten, die ich an diesem Tag hörte. Im Gericht selbst gab es eine Unterbrechung, die mir trotz meines unvernünftigen Drangs, alles mitbekommen zu wollen, willkommen war. Während wir warteten, ließ ich, nur um der Ablenkung willen, die kühlen, glatten Perlen meines Rosenkranzes durch die Finger gleiten, ohne die entsprechenden Gebete aufzusagen, während Jean de Malestroit sich mit Bruder Blouyn und De Touscheronde besprach. Die drei hatten die Köpfe zusammengesteckt und redeten so leise, dass nicht einmal die Schreiber, die dicht bei ihnen saßen, sie hören konnten.
Es machte nichts, denn diesmal schrieb Jean de Malestroit. Mit Zustimmung seiner Kollegen verfasste er eine kurze Erklärung, die er einem der Schreiber mit einer geflüsterten Anweisung übergab. Der Mann fing sogleich an, in seinen Pergamenten zu suchen, stand dann auf und berichtete über die wichtigsten Zeugenaussagen, indem er zuerst angab, wer sie gemacht hatte, und sie dann kurz zusammenfasste.
Als er damit fertig war, drehte der Schreiber sich zu Seiner Eminenz um, der ihm mit einem Nicken die Zustimmung zur Verkündung des folgenden Schlusssatzes gab: »Nachdem die Beschwerden vorgebracht wurden vor den Herren Jean, Verehrter Vater in Gott, Bischof von Nantes, und Bruder Jean Blouyn, Vize-Inquisitor, verfügen besagte Herren Bischof und Vikar, dadurch davon in Kenntnis gesetzt und in der festen Absicht, diese Verbrechen nicht ungesühnt zu lassen, und beauftragen hiermit jeden Priester, am Sonntag den achten Oktober den zuvor erwähnten Gilles de Rais dazu aufzurufen, vor den besagten Herren Bischof und Vize-Inquisitor des Glaubens zu erscheinen, wie es das Gesetz verlangt, um sich zu verantworten und vorzubringen, was er an Einwänden und Verteidigungen vorgebracht haben möchte, wie auch vor dem für diesen Fall und andere Fälle dieser Art rechtmäßig ernannten Ankläger.«
Luft, die zu warm für Oktober war, strömte durch das offene Fenster des oberen Saals. Wir hatten uns dort versammelt, weil die Gefahr eines Aufruhrs in der Kapelle darunter zu groß geworden war. Der obere Saal war geräumig, im Gegensatz zur unteren Halle und zur Kapelle, aber im Augenblick war sein größter Vorzug, dass durch die einfache Aufstellung von Wachen am Fuß der Treppe der Raum völlig unzugänglich war. Die Zulassung zu diesem Gericht stand allein im Belieben des Mannes, dessen Befehle die Wachen ausführten.
Obwohl unsere Sicherheit so gewährleistet schien, herrschte viel verwirrtes Gewimmel, bevor wir uns wieder den zu erledigenden Geschäften widmen konnten. Neue Gesichter erschienen, einige davon kannte ich. Der Auftritt von Pierre l’Hôpital, Präsident der Bretagne unter Herzog Jean und ein enger Vertrauter meines Bischofs, war ein beachtenswertes Ereignis.
»Wie ich sehe, hat der Herzog seinen Wachhund geschickt«, sagte Frère Demien.
»De Touscheronde wird sicher daran Anstoß nehmen«, erwiderte ich.
»Ts, ts«, machte Frère Demien.
»Es ist ein ziemliches Glück für uns alle, dass er im Dienst unseres Herzogs eher Anwalt denn Politiker ist«, fügte ich hinzu. »Ansonsten hätten wir eine beständige diplomatische Krise.«
Schritte hallten den letzten Gang entlang. Frère Demien drehte sich um. »Guillaume Chapeillon«, sagte er.
Der honigzüngige Chapeillon war ein gutes Gegengewicht zum verdrießlichen l’Hôpital. Er würde für Jean de Malestroit sprechen und ausschließlich ihm verantwortlich sein. Er war gewandet in feinsten Advokatsroben mit weit gebauschten Ärmeln – ich fragte mich mit nicht geringem Neid, wie viele Schätze in diesen üppigen Falten wohl verborgen waren. Eine Truppe aus Schreibern und Notaren folgte Chapeillon wie Entlein. Jeder hatte schwarzfleckige Finger und hielt ein Bündel Federkiele in der Hand, von denen die meisten aufgebraucht sein würden, bevor der Prozess zum Abschluss kam.
Diese Bediensteten und Würdenträger fanden schließlich ihre Plätze an der Spitze des Saales, obwohl mir die Verwirrung, die entstand, bevor sie alle wirklich saßen, alles andere als Vertrauen einflößte. Auch wenn wir uns nun an einem abgeschiedenen Ort befanden, blieb ein Rest von Angst. Ich saß auf einem der Stühle mit hoher Lehne, die man eiligst hereingebracht hatte, um allen Zugelassenen Platz zu bieten, und beschäftigte mich still mit mir selbst: Ich zog und zupfte am Saum meines Gewands, bis er gerade war, steckte lockere Haarsträhnen fest, strich den Schleier glatt und tat, was mir sonst noch einfiel, um mich abzulenken. Als ich schließlich ein vollkommenes Erscheinungsbild bot, schloss ich die Augen und dachte an die wunderbaren Äpfel, die wir im kalten Keller verstaut hatten, und daran, wie wunderbar es sein würde, in der öden Dunkelheit des Januar meine Zähne in einen zu graben. Mein Atem kam regelmäßiger, und ich wurde ruhiger.
Doch kaum hatte ich meinen normalen Atem wieder gefunden, wurde er mir bereits wieder geraubt durch die plötzliche und völlig unerwartete Ankunft von Milord Gilles de Rais.